Albumkritik: Linkin Park: „Minutes to Midnight“

Nun ist es endlich da. Das neue Album von Linkin Park, lustigerweise „Minutes to Midnight“ genannt, und es erscheint wie der Titel es vermuten lässt, „kurz vor knapp“. Also kurz bevor wir es aufgeben, jemals wieder ein neues, vollwertiges Album von Linkin Park zu hören. Aber mal sehen, was es uns bringt – im Vorfeld hieß es ja, Linkin Park wollen weg vom Nu Metal (den sie selbst einst schufen) und zurück zu den Wurzeln. Zwar nicht zu ihren eigenen Wurzeln, denn das wäre ja der Nu Metal, hehe. Aber zumindest zu einem Teil der Wurzeln, sprich: Metal und normalem Rock. Klingt, als ob das Experiment ziemlich gewagt werden würde, aber lassen wir uns mal überraschen…

Kurz vor Release tauchten leider einige Werke auf, die alle Teil des neuen, sehnlichst erwarteten Albums sein wollten. Leider handelte es sich nur um billige Fakes, die jedoch nicht alle sofort als solche erkennbar waren. Aber vor mir, also auf dem Datenträger meines Laptops, liegt nun das Original, in das ich jetzt einfach mal detailliert reinhöre.

Jeder Song hat eine Maximalwertung von 10 Punkten, wodurch sich am Ende ein Durchschnitt ergibt, der zwischen 1 und 10 liegt.

Es beginnt mit „Wake„, einem instrumentalem Intro, das nach einer Laufzeit von knapp einer Minute von seichtem Gedudel endlich zu akzeptablen Riffs hinauswächst. Aber es ist halt ein Intro. (2/10)

Der zweite Song ist „Given up„, ein anfangs leicht aggressiv, trotzdem ein wenig depressiv klingender Stampfer. Chesters genialer Gesang (u.a. im Refrain) sowie die guten Drums geben dem Song zwar einen ordentlichen Schliff, die Riffs sind jedoch früher besser gewesen. Ihr könnt zwar experimentieren, aber bitte behält eure Stärken. Denn leider fehlt hier jeglicher Keyboardeinsatz, aber wie oben geschrieben: Es ist nicht mehr der typische Linkin Park-Sound. Trotzdem die alte Härte, wenigstens das habt ihr gut behalten! (6/10)

Es geht weiter mit „Leave out all the Rest„, und endlich kriege ich diese Gänsehaut, wie ich sie von guten Linkin Park-Songs gewohnt bin. Wohoo! Fantastischer Stimmeneinsatz von Chester, seichte aber gute Riffs und sanfter, passender Keyboardbackground zeichnen diesen spitzenmäßigen Song aus. Er erzeugt eine Atmosphäre, wie es davor höchstens „From the Inside“ oder „Somewhere I belong“ schafften. Der Refrain ist der Hammer schlechthin, der Song könnte übrigens auch auf eins der früheren Alben passen. Ach, sollte ich erwähnen, dass dieser Song trotz (z.B. aus „Numb“ oder „My December“) gewohnter Melancholie einfach großartig klingt? Leider ertappe ich mich gerade dabei, den Song jetzt schon zum fünften Mal hintereinander zu hören, er ist einfach zu geil. Und dabei sollte ich doch weitermachen… (8/10)

Gut, also nun der vierte Song. Er heißt „Bleed it out“ und bringt mir die „ersten“ Vocals von Mike auf diesem Album. Der Song hat nur einige, wenige Gitarrenriffs, und entfaltet sein potentielles Potential (°g°) bei einigen Hörern erst bei wiederholtem Hören. Linkin Park-mäßiger Individualismus? Leider Fehlanzeige: Straighter Groove, melodische Vocals in öder Manier. Damit ist der Song nichts für Fans der alten Zeit wie mich, und ebenso schnell wie der Song ist selbiger auch schon wieder vorbei, zum Glück. (3/10)

Fünftes Werk des Albums ist „Shadow of the Day„, ein cleaner, weicher Song, der in die Melancholie-Fußstapfen, die „Leave out all the Rest“ gemacht hat, tritt, diese jedoch nur ansatzweise ausfüllt. Der Song will in der Theorie eine Powerballade sein, kriegt das aber in der Praxis rein gar nicht hin. Dafür ist der Refrain einfach zu schwach und das Geleier von Chester einfach zu mies. Das kannst du besser, und das hast du zwei Songs vorher schon bewiesen. (4/10)

Es folgt „What I’ve done„, der endlich wieder akzeptable Riffs sowie supportende Keyboardparts aus den Boxen ertönen lässt. Chester leiert zwar anfangs wieder, kriegt aber diesmal im Refrain die Kurve und zeigt seine Stimmgewalt auf gewohnt gutem Niveau. Der Song hat Potential und eignet sich im Gegensatz zu den beiden vorherigen Songs sogar als Single. (6/10)

Hands held high“ ist der Nächste auf der Liste. Zuviel Keyboard, mieser Groove, keine Gitarren, keine Drums, kein Chester – hallo? Ich frage mich: Mike, arbeitest du nicht vielleicht zuviel an deinem Nebenprojekt, Fort Minor? Genau so klingt der Song nämlich. Das hier ist Linkin Park, solch reiner Hiphopkram passt hier nicht. Punkt. (0/10)

Und nun… „No more Sorrow„. Steter Drumeinsatz, Keyboardsupport und gute Riffs sowie ein akzeptabler Chester stehen Pate für diesen Song. Er bemüht sich um das alte Flair, erreicht aber (mal wieder) nicht die Stärken des „alten“ Linkin Park. Ansonsten: Gedudel, Gedudel, Gedudel. (5/10)

Valentine’s Day“ folgt auf dem Fuße, und mal wieder ein ruhiger, imposanter Song, der eine Klangfülle erreicht wie ich sie gerne hab. Wie einige andere Songs verzichtet dieser auf Mike als Haupteinsatz, und enthält ihn nur als Support im Background – perfekt. Die Drums, das Keyboard… alles stimmt perfekt, nur warum schon wieder so ein Gedudel? (6/10)

Nun der zehnte Song des Albums, „In Between„. Mike kann ja doch exzellenten, klaren Gesang. Hier wirkt Chester als Support – warum nicht? Turntableeinsatz und eine im Hintergrund mitwirkende, großartige Melodie schaffen einen Song, der sich gleichermaßen ruhig wie konzentriert seinen Weg ins Gehör verschafft. Letztendlich ein guter Song, zumindest für dieses Album. (5/10)

Vorletzter Song ist „In Pieces„, schon wieder ein ruhiger Song. Seufz. Aggressiv ist er trotzdem, und gut. Was soll ich dazu großartig noch schreiben, was ich hier noch nicht schrieb? Er reiht sich nahtlos neben „Shadow of the Day“, „What I’ve done“ und „In Between“. Eine Ballade eben, mit denselben Glanz- und Schwachpunkten wie der Rest. Langsam reichts. (4/10)

Das Ende ist der Mammutsong „The little Things give you away„, der mit 6:25 Minuten ordentlich… ruhig zu Buche schlägt. Argh! Könnt ihr auch noch was anderes? Schon wieder eine Ballade, langsam reichts! Und erst nach 2:26 Minuten Gedudel fängt der Song an, nach dem ganzen Ausruhen etwas Kraft zu schöpfen und durch Chester und gutem Background Gänsehaut zu erzeugen. In diesem Stil geht der Song übrigens weiter. Nach einem einminütigem Instrumentalpart folgt dann das schon bekannte Flair: Etwas Melancholie, etwas kraftvolles. Nur warum ist dieser Song 6 Minuten lang?! (5/10)

Fazit:
Das ist nun also das neue, tolle Album von Linkin Park, mit seinem ja ach soo tollen Metal… kotz. Der Großteil ist einfach softes Gedudel, genauer gesagt seichter Kuschelrock, der nichts von der alten Größe offenbart. Laut einem Statement von Linkin Park hatte die Band über 150 (!) Songs für dieses Album geschrieben und die besten ausgewählt, die nun hier zu hören sind. Pustekuchen, denn einzig „Leave out all the Rest“ überzeugt. Den Song könnte ich mir tausend Mal anhören und wäre diesem nicht überdrüssig – ich denke, er wird sogar meinem MP3-Player einen längeren Besuch abstatten, und das mag was heißen. Fans von Songs wie „My December“, „Easier to run“, sowie einem Teil des „Reanimation“-Albums können gerne zugreifen, jeder „echte“ Linkin Park-Fan wird jedoch schlichtweg enttäuscht, fehlen hier doch die harten Riffs, Drums und echt kraftvollen Vocals der guten, alten „Nu Metal-Zeit“. Wer die ersten beiden Alben mochte, findet hier also kein neues Hörmaterial – mit diesen 12 Songs vergraulen Chester & Co. in meinen Augen nämlich einen Großteil ihres einstigen Fan-Publikums. Zum Glück hab ich kein Geld dafür bezahlt.

1. Wake 1:43 (2/10)
2. Given up 3:11 (6/10)
3. Leave out all the Rest 3:31 (8/10)
4. Bleed it out 2:46 (3/10)
5. Shadow of the Day 4:52 (4/10)
6. What I’ve done 3:28 (6/10)
7. Hands held high 3:55 (0/10)
8. No more Sorrow 3:43 (5/10)
9. Valentine’s Day 3:18 (6/10)
10. In Between 3:18 (5/10)
11. In Pieces 3:40 (4/10)
12. The little Things give you away 6:25 (5/10)
Insgesamt: (4,5/10)

Nachtrag:
In der SZ vom 6. Juni ist ein Artikel über Linkin Park, dessen Autor darin fast genau dieselben Kritikpunkte anführt wie ich. Trotzdem ist das Album auf Platz 1 der deutschen Charts eingestiegen, was meiner Meinung nach dank 2 Faktoren geschehen ist: 1. Neugierde. 2. Leichtere Mainstreamtauglichkeit durch „weichere“ Songs. Auf ihrem RAR2007-Auftritt haben sie allerdings auch viele ältere Songs in gewohnter Qualität gespielt, weswegen ich Linkin Park für mich noch nicht komplett in den Mainstream einordne. Noch nicht. 😦

Nachtrag, 27.02.2008:
Da „Shadow of the Day“ auf beinahe sämtlichen Radiosendern auf Heavy Rotation gespielt wird, zählt Linkin Park damit nun offiziell zum Mainstream. Wieder eine Band mehr, die lieber kommerziell erfolgreich sein will als ihr eigenes Ding zu drehen. Nur warum spielen LP dann live noch so viele ihrer alten Songs? Wahrscheinlich, um ihre „alten Fans“ nicht zu enttäuschen und sie zu mehr Plattenkäufen zu animieren.
Ein Punkt ist mir aufgefallen: „Minutes to Midnight“ ist das erste Album von LP, das einen „Parental Advisory — Explicit Content“-Aufkleber gekriegt hat, da Fäkalsprache und Kraftausdrücke in den Texten vorkommen. Muss das sein? Muss gute Musik unbedingt heftige Texte haben? (Um Kritik vorzuheben: Eisregen ist genial!) Für mich ein weiterer Schritt vom Gründungsstatus eines ganzen Musikstils in die Belanglosigkeit und Eintönigkeit des Mainstreams.
Übrigens hatte ich Recht damit, dass „What I’ve done“ eine gute Single ergäbe – das Lied wurde als erste Auskopplung verwendet. Mittlerweile wurden noch folgende Songs zu Singles verwurstet: „Bleed it out“, „Shadow of the Day“ und die aktuelle Single „Given up“. 4 Singles aus 11+1 Songs, irgendwie lächerlich. Aber „Meteora“, das letzte, richtige Studioalbum, hat es zu 6 Singles bei 11+2 Songs gebracht. Ähem…

~ von NeZ - 14. Juni 2007.

6 Antworten to “Albumkritik: Linkin Park: „Minutes to Midnight“”

  1. Ich hab das Album noch nicht gehört. Ich war damals von Meteora schon enttäuscht, da es im Grunde Hybrid Theory Pt. 2 war. Überhaupt nichts neues.
    Ich finde es also eigentlich gar nicht schlecht, dass sie jetzt ihren Stil anscheinend wirklich verändert haben. Wohl zu drastisch, aber ok…
    Ich sollte mir das Album also vielleicht doch mal anhören, auch wenn keine Seite (laut, plattentests etc) dieses Album mag.
    btw hat Linkin Park nicht den Nu Metal begründet 😛 Man könnte sagen, dass KoRn es waren, aber eigentlich ist es ein fließender Übergang seit dem Crossover der 90er.

  2. Linkin Park haben den Nu Metal salonfähig gemacht, und mit einer Prise Rock zu richtig guter Musik umgebastelt. KoRn ist da etwas gewöhnungsbedürftiger in mancher Hinsicht. 😛
    (Wobei ich KoRn auch geil finde.)
    Eigentlich könnte man sagen, dass z.B. Limp Bizkit u.a. auch ihren Teil zum Nu Metal beigetragen haben, bzw. zu der Form, wie er heute ist.

    Aber hey, Meteora gefällt mir sogar besser als Hybrid Theory. Eingängigere Songs, bessere Melodien & Riffs und geilerer Stimmeneinsatz.

    Was Linkin Park auf diesem Album fabriziert hat, gefällt mir jedoch weniger. 😕

  3. Das Album „Minutes to Midnight“ ist doch garnicht mal so übel.. kenne auch alle alten Songs von Linkin Park, dennoch würd ich die neuen nicht in was Mitläuferisches einstufen, sie machen immer noch ihr eigenes Ding.. die Songs passen vielleicht einfach besser zu Melancholiker, aber viele gibt es nicht, die auch in der Richtung ähnlich klingen oder darin richtig gut sind.
    hatte Linkin Park den Mut sich auf Neues einzulassen.
    Finde ich ganz gut und das Album auch. Jedes Lied hat was für sich und warum muss immer jedes davon die gleichen Anforderungen haben, wie oben erwähnt, Riffs. Kann doch auch mal anders sein.

  4. Klar kann es anders sein, es sollte aber noch als Linkin-Park-Album erkennbar sein. Und das ist meiner Meinung nach hier einfach nicht mehr der Fall.

    Melancholik? Bisweilen. Ich würde jedoch sagen: Die Songs passen besser ins Radio.

    Eine Abkehr vom Mut, Neues auszuprobieren (Hybrid Theory!) und ein weiterer Schritt (Reanimation! Collision Course!) in Richtung Kommerz.

    Ein ganz großes Bäh von meiner Seite für LP… weiterhin.

  5. Ich habe mal ne kleine frage, und zwar warum spielst du den Rap/HipHop Anteil, d.h. Mike Shinoda, so dermaßen runter? Mike ist ein existenzieller Bestandteil der Band und nicht einfach irgendeine Background-Begleitung! Du lobst die alten Songs über alle Maßen, aber kritisierst einige Songs von MtM, weil zuviel gerapt wird. Hallo?! Hast du dir jemals In the End, A Place for my Head, Papercut, Faint und und und angehört?? Nu Metal IST nunmal ein mix zwischen Rap- und Metalmerkmalen. Also tu bitte nicht so, als ob alle alten Songs im Stile von Leave out all the Rest seien.

    PS: Ich mochte den alten Stil auch lieber, aber nach wiederholtem Hören kann ich mich ganz gut mit dem Album anfreunden. Es ist für mich nämlich alles andere als Mainstream, aber falls du irgendeine Band in den Charts kennst, die ähnliche Musik macht, dann lasse ich mich gerne eines Besseren belehren.

    PSS: No Roads left hätte auf das Album gemusst! Geiler Song!

  6. @Ezzie: Ich hab nichts gegen Rap/HipHop-Anteile im Metal, doch wenn diese Überhand nehmen, wird mir schlecht.
    Nu Metal ist Crossover, da hast du Recht. Aber die alten Linkin Park Songs legen das Hauptmerkmal auf den Metal, auf Riffs, Schlagzeug und Joe Hahn spielt hier nur eine untergeordnete Rolle, der zwar der Melodie dienlich ist, jedoch nur ein Instrument unter vielen ist.
    Bei manchen Songs des neuen Albums ist von Metal oder Instrumentierung jedoch rein gar nichts mehr zu spüren. Beats pur? Ohne mich. Das ist HipHop, ganz sicher kein Crossover mehr. O_o
    Nu Metal ist ein sehr großes Feld… KoRn und SlipKnot gehören ebenfalls dieser Gattung an. Doch dort liegt – trotz Einsatz elektronischer Stilmittel – der Schwerpunkt auf Metal. Es heißt ja auch Nu Metal und nicht Nu HipHop. Seufz. >.<

    PS: Um deine Frage zu beantworten: Vielleicht Limp Bizkit noch, aber gibt’s die überhaupt noch? Und die sind auch eher mit dem „echten“ Linkin Park zu vergleichen. Sonst fällt mir da keine Band ein. Kann aber auch daher liegen, dass mein persönlicher Musikgeschmack sowieso nicht im Radio gespielt wird. Und das find ich gut so.

    PPS: Den kenn ich nicht. War der auf ’ner Single?

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